Veranstaltungen aus dem Landesverband
Veranstaltungen aus dem Landesverband

Jugendliche erneuern Grabinschriften

Ein Schülerprojekt in Königshain

Schülerarbeitseinsatz in Königshain

Schülerarbeitseinsatz in Königshain Volksbund/E. Mühle

Königshain, 10 km von Görlitz entfernt, ist ein beschauliches Dorf mit einem kleinen Gebirge (Königshainer Berge), mit einer Kirche, mit zwei Gaststätten und drei Schlössern. Das Barockschloss wurde Ende des Zweiten Weltkrieges zum Lazarett umfunktioniert, Königshain war Hauptverbandsplatz. Insbesondere die Kämpfe im Februar 1945 ca. 10 bis 15 km östlich von Görlitz im damaligen Schlesien forderten viele Opfer. So wurden Tote aus dem nahe gelegenen Lazarett anfangs auf dem evangelischen Friedhof, später als der Platz nicht mehr reichte, im Schlosspark bestattet. Auf dem Friedhof ruhen in zwei Grabanlagen 66 Tote, im Park (ebenfalls in zwei Anlagen) 318 Tote. Während die Kriegsgräber im Park vor kurzer Zeit mit Hilfe von Landesmitteln saniert worden sind, sind die Granit-Liegesteine auf dem Friedhof nur noch teilweise leserlich.

Die private Initiative zweier Frauen des Volksbundes führte im Sommer zu einer ungewöhnlichen Aktion. Die eine, Evelin Mühle, war lange Jahre Leiterin des Städtischen Friedhofes in Görlitz, wohnt in Königshain und arbeitet im Ortskirchenrat. Die andere, Cornelia Alder, ist Lehrerein am Augustum-Annen-Gymnasium in Görlitz. Beide trafen sich zufällig am 8. Mai auf der Altstadtbrücke in Görlitz bei der Veranstaltung der beiden Partnerstädte Görlitz/Zgorzelec anlässlich des Kriegsendes vor 80 Jahren. Die Frage der einen, ob nicht Schüler in Königshain helfen könnten, führte schließlich dazu, dass ein Projekttag des Leistungskurses Geschichte in Königshain stattfand. Einige Tage vorher waren die Steine mit einem Kärcher gereinigt worden, ein Steinmetz hatte genaue Instruktionen zur Erneuerung der Inschriften gegeben, Pinsel und Schriftfarbe waren gekauft.

Vor dem Start erinnerte Frau Alder an die Geschehnisse, die vor 80 Jahren rund um Görlitz stattgefunden hatten. Frau Mühle las aus historischen Briefen vor, die 1945/46 im Pfarrhaus angekommen waren, nachdem Pfarrer Scharfetter Angehörige über den Verbleib ihres Kriegstoten informiert hatte. Die Tochter des Pfarrers hatte selbst im Lazarett mitgeholfen und kümmerte sich damals ebenfalls um den Schriftwechsel und die Gräber. Zwei ihrer Brüder sind 1941 in der Nähe von Moskau bzw. Petersburg ums Leben gekommen – Familie Scharfetter kannte den Schmerz der Angehörigen aus eigenem Leiden. Mit den Briefen sind rührende Zeitzeugnisse erhalten geblieben. Sie spiegeln wider, wie Familien hofften, bangten, trauerten … und doch froh waren, endlich einen Ort zu wissen. Für die Schüler fast unvorstellbar: alles musste damals ohne Computer, Handy, Kopierer geschehen … und eine Reise von Angehörigen von Dresden nach Königshain, obwohl nur etwa 100 km, war mangels Zugverbindungen kaum möglich. Ganz zu schweigen von einer beabsichtigten Reise aus dem Westen Deutschlands in die damalige sowjetische Besatzungszone. 

22 Schülerinnen und Schüler erneuerten auf 34 Steinen die Inschriften und zupften Unkraut. Welche Gedanken hatten sie bei den Namen der fast gleich alten Soldaten? Ging ihnen durch den Kopf, dass es vielleicht wieder eine Wehrpflicht geben könnte? Zum Abschluss des Projekttages wurde das „Totengedenken“ verlesen. Fünf Rosen wurden symbolisch niedergelegt: bei zwei Soldaten, deren Angehörigenbriefe vorgelesen wurden, außerdem beim ältesten Toten, geboren 1898, und beim jüngsten Toten, geboren im April 1928 und damit gerade 16 Jahre alt. Die Schüler sind 17 oder 18 Jahre. Die fünfte Rose erhielt Erhard Gross, der genau an diesem Tag 1923 geboren war. 

Evelin Mühle, Königshain