Unternehmen „Barbarossa“: Hitlers Krieg gegen die Sowjetunion
Der deutsche Angriff auf die Sowjetunion 1941 und die folgenden Kriegsjahre bis zum 8. Mai 1945 markieren eine Zäsur in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs, denn die bis anhin weitgehend eingehaltenen kriegsvölkerrechtlichen Standards waren hier vom ersten Tage an aufgehoben.
Im Schatten des militärischen Feldzugs gegen die Sowjetunion begingen die Einsatzgruppen der SS monströse Verbrechen, insbesondere an der jüdischen Bevölkerung – das Massaker von Babi Yar bei Kiew ist hierfür zur Chiffre geworden. Hinter der Front vollzog sich die planmäßige Zerstörung der Lebensgrundlagen und mithin die physische Vernichtung großer Teile der sowjetischen Bevölkerung.
Vom "Komissarbefehl" bis zur "Verbrannten Erde"
Die Wehrmacht selbst assistierte hier nicht nur durch die Gestellung von Transportraum und andere logistische Unterstützungsmaßnahmen – sie brach auch selbst kriegsvölkerrechtliche Bestimmungen und beging damit Kriegsverbrechen: Der "Kommissarbefehl" gilt hier als das prominenteste Dokument.
Hinzu kamen unter anderem die Belagerung von Leningrad, die Praktiken der „Verbrannten Erde“ und vor allem die Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen als eines der dunkelsten Kapitel. Während gegenüber den westalliierten Kriegsgefangenen die Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung und der Genfer Konvention penibel eingehalten wurden, enthielt die deutsche Wehrmacht den sowjetischen Gefangenen diese vor.
Tod billigend in Kauf genommen
Deren Tod nahm die Wehrmachtsführung billigend in Kauf, mehr noch: Durch die vorsätzliche Unterschreitung minimaler Standards der Verpflegung, Unterbringung und medizinischen Versorgung leistete man dem Massensterben bewusst Vorschub.
Dass die Wehrmacht von der ungeheuren Masse der Gefangenen der großen Kesselschlachten des Sommerfeldzuges 1941 überfordert gewesen sei, ist als Erklärung gleichermaßen wohlfeil wie unzureichend. Denn schließlich starben 53 Prozent aller Rotarmisten, die in deutsche „Obhut“ gerieten. Von etwa 5,7 Millionen Sowjetsoldaten in deutscher Gefangenschaft fanden drei Millionen den Tod – eine ungeheuerliche Zahl.
Lager bedeutete Kälte, Hunger und Seuchen
Zwei Gruppen unterfielen der aktiven Tötung: „Kommissare“ und Soldaten jüdischer Herkunft. Alle anderen waren in den Lagern Kälte, Hunger und Seuchen (Fleckfieber, Ruhr, Typhus) ausgesetzt und starben oftmals unter grausamen Umständen. Alleine den ersten Kriegswinter 1941/42 überlebte von den drei Millionen Gefangenen des Sommers 1941 nur ein Drittel. Entsprechend gering im Vergleich zur Masse der Gefangenen ist daher der Anteil jener, die überhaupt in Lager auf Reichsgebiet kamen. Hier war das Lager in Zeithain – STALAG IV-H – eines der größten.
Den regionalen Hintergrund der Gedenkveranstaltung bildet die düstere Geschichte des Kriegsgefangenenlagers in Zeithain, wo zwischen 1941 und 1945 25.000 bis 30.000 sowjetische und mehr als 900 Kriegsgefangene aus anderen Ländern (darunter mindestens 862 Italiener) – man kann es nicht anders formulieren – krepierten. Gründe waren vor allem mangelhafte Ernährung und katastrophale hygienische Bedingungen.
Die Geschichte des Lagers finden Sie auf den Seiten der Stiftung Sächsische Gedenkstätten dokumentiert.
Vom STALAG zum GULAG
Doch blieb die Befreiung des Jahres 1945 für Viele unvollendet. Dies galt für die Bevölkerung Mitteldeutschlands und mehr noch für die von den eigenen Truppen befreiten Sowjet-Gefangenen, denn letztere betrachtete Stalin mit besonderem Argwohn: sei es als Feiglinge, die nicht bis zum Letzten gekämpft hatten, sei es als unzuverlässige Elemente. So tauschten die meisten dieser Gefangenen den Gewahrsam im deutschen STALAG mit jenem im sowjetischen GULAG, nachdem sie die Filtrationslager des NKWD durchlaufen hatten: ein bitteres Schicksal.
Von den 800.000 Mann, die bis Juli 1945 repatriiert wurden, gerieten rund 600.000 in die Lager des NKWD oder wurden nach Sibirien verschleppt. Insbesondere Offiziere, die in deutsche Gefangenschaft geraten waren, konnten keine Gnade erwarten (vgl. BABEROWSKI, S. 462 f.).
Schicksale Kriegsgefangener ab 1994 im Fokus
Mit dem Ende des „Kalten Krieges“ und dem Untergang der Sowjetunion 1992 eröffnete sich ab 1994 mit dem deutsch-russischen Kriegsgräberabkommen die Möglichkeit, die Schicksale der Kriegsgefangenen beider Seiten zu klären. Die Dokumentationsstelle der Stiftung Sächsische Gedenkstätten und der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge leisteten hier eine unschätzbare Arbeit, deren Ergebnis sich in den einschlägigen Datenbanken nachvollziehen lässt.
Mit der Neugestaltung der Kriegsgräberstätte in Zeithain zum 70. Jahrestag des Kriegsendes 2015 nahm auch die Öffentlichkeit davon Notiz: Die Namensstelen auf den Friedhöfen geben – chronologisch sortiert – Auskunft über das Massensterben in den Jahren ab 1941 bis zur Befreiung des Lagers am 23. April 1945.
Im Rahmen des derzeit laufenden deutsch-russischen Regierungsprojekts "Sowjetische und deutsche Kriegsgefangene und Internierte", das der Volksbund im Auftrag des Auswärtigen Amts als Träger koordiniert, werden diese wichtigen humanitären Aufgaben weiter verfolgt.
Arbeitseinsätze in Zeithain mit Reservisten, Soldaten, Schülergruppen
In der Schul-, Jugend- und Bildungsarbeit des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Landesverband Sachsen, nehmen die Arbeitseinsätze von Reservisten, Soldaten und Schülern, die jährlich in Zeithain stattfinden, einen besonderen Stellenwert in der Vermittlung dieses dunklen Aspekts der Geschichte des Zweiten Weltkrieges ein. Das Lager in Zeithain und die umgebenden Friedhöfe sind Orte, an denen die „Versöhnung über den Gräbern“ zu einer besonderen Herausforderung wird.
Dass im April 2020 – trotz der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie – jenes Stille Gedenken vollzogen wurde, zeugt vom besonderen Stellenwert dieses Gedenkorts, der auch in Zukunft dem Anspruch gerecht werden soll, das Kriegsgrab im Dreiklang von Trauern – Erinnern – Gedenken als zeitgemäßen Lernort zu präsentieren.
Kriegsgräberfürsorge und die Erinnerung an die Folgen von Gewaltherrschaft und Totalitarsmus sind damit – auch 75 Jahre nach Kriegsende – noch immer ein wesentlicher Beitrag für den Frieden in Europa.
Dr. Dirk Reitz