Meldungen aus dem Landesverband Sachsen
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80. Jahrestag der Befreiung des Kriegsgefangenenlagers Zeithain

Gedenkveranstaltung am 23. April

Eingangsportal der Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain

Eingangsportal der Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain Volksbund, LV Sachsen/Hentschel

Zum 80. Jahrestag der Befreiung des Kriegsgefangenenlagers in Zeithain versammelten sich Vertreter des Volksbunds, der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, der Gemeinde Zeithain, der Bundeswehr und des Sächsischen Landtags auf dem ehemaligen Lagerareal. 

Die Gedenkrede hielt der Präsident des Sächsischen Landtags, Alexander Dierks. Für den Volksbund begrüßte der Landesgeschäftsführer Dr. Dirk Reitz und für die Stiftung Sächsische Gedenkstätten deren Geschäftsführer Dr. Markus Pieper.

Besonders beeindruckten die Redebeiträge von Nachkommen sowjetischer, polnischer und italienischer Lagerinsassen. Gerade das Schicksal der italienischen Militärinternierten, d.h. jenen italienischen Soldaten, die nach dem „Fall Achse“, dem italienischen Bündniswechsel des Jahres 1943, nicht als Kriegsgefangene, sondern als „Militärinternierte“ misshandelt wurden, blieb lange Zeit „unterbelichtet“ – ca. 900 starben hier in Zeithain.

Die Worte von Aldo Magnoli, Sohn eines italienischen Militärinternierten, stehen für sich:

"Heute, am 80. Jahrestag der Befreiung des Lagers, in dem mein Vater Armando interniert war, in Zeithain zu sein, hat für jemanden, der wie ich noch nie an diesem Ort war und der von seinem Vater nie von dem Erlebten erzählt bekommen hat, mehrere Bedeutungen. Diese Orte und ihre Umgebung zu sehen und über diese Felder zu gehen, wird zu einer nachträglichen Unterhaltung mit unseren Lieben, die nicht mehr da sind. Auf dem Bahnhof von Jacobsthal kamen Zehntausende von Gefangenen aus verschiedenen Nationen an, aber nicht für alle gab es keine Möglichkeit, von dort nach Hause zurückzukehren. Sie blieben auf dem italienischen Soldatenfriedhof und in Massengräbern wurden die sterblichen Überreste der Unglücklichsten vergraben.
Die schriftlichen Arbeiten von Zeitzeugen wie Padre Luca Airoldi, den Rotkreuzschwestern Alma Giola und Maria Vittoria Zeme, Oberstleutnant Leopoldo Teglia oder Hauptmann Federico Corrado, um nur einige zu nennen, und von Forschern wie Cristian Pecchenino, veranlassten mich zu prüfen, ob die Ereignisse von Zeithain noch Raum für weitere Untersuchungen ließen. Und dem so. Die erste Überraschung erlebte ich mit Hilfe meines Freundes Milan Spindler, als ich Unterlagen über die Ankunft des Lazarettzuges in Modena entdeckte, der Hunderte von tuberkulosekranken Militärinternierten aus Zeithain in das örtliche Militärkrankenhaus brachte. Die besondere Schwierigkeit der Rückkehrer führte in mehreren Fällen dazu, dass sie bereits in den ersten Tagen nach ihrer Einlieferung starben. 
Auf diese Weise ist es möglich, die Zahl der 890 Italiener, die nach den bereits zitierten Quellen direkt im Reservelazarett oder außerhalb seiner Umzäunung ums Leben gekommen sind, neu zu bestimmen. Hinzu kommen weitere 26 junge Menschen, die Zeithain am 15. Juni 1944 mit einem Lazarettzug verlassen haben, aber in den folgenden Tagen in Modena gestorben sind. Bei weiteren 28 von ihnen warten wir auf die Einsicht in ihre Krankenakten, um sicher zu sein, aus welchen der verschiedenen Lager in Deutschland sie stammen. Gemeinsam mit Milan waren wir Referenten auf der Konferenz in Modena im vergangenen Juni zum Thema Lazarettzug aus Zeithain.

Ein weiterer wichtiger Fund im Jahr 2024 war das unveröffentlichte handschriftliche Tagebuch, das der Leiter der italienischen Apotheke in Zeithain, Hauptmann Giuseppe Venturelli, von 1943 bis 1945 geschrieben hat und dessen 959 Seiten ich gerade abtippe. Nach 80 Jahren bietet uns dieses Tagebuch eine Fülle von Informationen und Bildern. Angefangen von dem sehr genauen Plan des Lagers, der am 27. März 1945 gezeichnet wurde und in dem die Nummerierung der einzelnen Baracken und ihre Anordnung in den Lagern A, B und C hervorgehoben sind, über 58 gezeichnete Bilder, davon 38 mit Karikaturen des medizinischen Personals, der italienischen und russischen Gefangenen, bis hin zur detaillierten Verpflegung mit den sehr knappen Lebensmitteln, ausgedrückt in täglichen und wöchentlichen Pro-Kopf-Kilokalorien. Hinzu kommende taillierte Berichte über die täglichen Wechselfälle innerhalb des Lagers.
Mit dem Gesetz Nr. 6 vom 13. Januar 2025 hat der italienische Staat für den 20. September einen jährlichen Tag der Erinnerung an die Italienischen Militärinternierten eingeführt. Bei dieser ersten Zeremonie in fünf Monaten wird der Präfekt von Modena mehr als 60 Militärinternierten posthum die Ehrenmedaille verleihen. Darunter befinden sich auch mehrere in Zeithain internierte Personen wie Padre Luca Airoldi, Leutnant Emilio Romeo, der das Galena-Radio erfunden hat, der Soldat Baldaccini Bertino und andere Militärangehörige.
Ich möchte diese kurze Rede wiederum mit Jacobsthal abschließen. In der biblischen Erzählung lebte Jakob, der auch Israel genannt wurde, in bitterem Konflikt mit seinem Zwillingsbruder Esau. Später wurden sie jedoch durch Vergebung und Brüderlichkeit versöhnt. Auch der heutige Jahrestag, 80 Jahre nach den Schrecken, die sich zwischen den Stacheldrahtzäunen abspielten, zeigt wie in dem Gleichnis Jakob, dass eine bessere Welt möglich ist."

Den Ansprachen folgte eine Gedenkzeremonie vor dem Obelisken, zu der neben einem katholischen und einem protestantischen Geistlichen auch der Militärrabbiner Alexander Nachama beitrug. Mit der Verlesung des Totengedenkens und einer Kranzniederlegung fand die Veranstaltung einen würdigen Abschluss.

 

Film zur Gedenkveranstaltung

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4:26 Minuten (© Dokumentationsstelle Dresden / StSG, Jonas Wolff)

Hintergrund

Unternehmen „Barbarossa“: Hitlers Krieg gegen die Sowjetunion

Der deutsche Angriff auf die Sowjetunion 1941 und die folgenden Kriegsjahre bis zum 8. Mai 1945 markieren eine Zäsur in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs, denn die bis anhin weitgehend eingehaltenen kriegsvölkerrechtlichen Standards waren hier vom ersten Tage an aufgehoben.

Im Schatten des militärischen Feldzugs gegen die Sowjetunion begingen die Einsatzgruppen der SS monströse Verbrechen, insbesondere an der jüdischen Bevölkerung – das Massaker von Babi Yar bei Kiew ist hierfür zur Chiffre geworden. Hinter der Front vollzog sich die planmäßige Zerstörung der Lebensgrundlagen und mithin die physische Vernichtung großer Teile der sowjetischen Bevölkerung.

Vom "Komissarbefehl" bis zur “Verbrannten Erde”

Die Wehrmacht selbst assistierte hier nicht nur durch die Gestellung von Transportraum und andere logistische Unterstützungsmaßnahmen – sie brach auch selbst kriegsvölkerrechtliche Bestimmungen und beging damit Kriegsverbrechen: Der "Kommissarbefehl" gilt hier als das prominenteste Dokument.

Hinzu kamen unter anderem die Belagerung von Leningrad, die Praktiken der „Verbrannten Erde“ und vor allem die Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen als eines der dunkelsten Kapitel. Während gegenüber den westalliierten Kriegsgefangenen die Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung und der Genfer Konvention penibel eingehalten wurden, enthielt die deutsche Wehrmacht den sowjetischen Gefangenen diese vor.

Tod billigend in Kauf genommen

Deren Tod nahm die Wehrmachtsführung billigend in Kauf, mehr noch: Durch die vorsätzliche Unterschreitung minimaler Standards der Verpflegung, Unterbringung und medizinischen Versorgung leistete man dem Massensterben bewusst Vorschub.

Dass die Wehrmacht von der ungeheuren Masse der Gefangenen der großen Kesselschlachten des Sommerfeldzuges 1941 überfordert gewesen sei, ist als Erklärung gleichermaßen wohlfeil wie unzureichend. Denn schließlich starben 53 Prozent aller Rotarmisten, die in deutsche „Obhut“ gerieten. Von etwa 5,7 Millionen Sowjetsoldaten in deutscher Gefangenschaft fanden drei Millionen den Tod – eine ungeheuerliche Zahl.

Lager bedeutete Kälte, Hunger und Seuchen

Zwei Gruppen unterfielen der aktiven Tötung: „Kommissare“ und Soldaten jüdischer Herkunft. Alle anderen waren in den Lagern Kälte, Hunger und Seuchen (Fleckfieber, Ruhr, Typhus) ausgesetzt und starben oftmals unter grausamen Umständen. Alleine den ersten Kriegswinter 1941/42 überlebte von den drei Millionen Gefangenen des Sommers 1941 nur ein Drittel. Entsprechend gering im Vergleich zur Masse der Gefangenen ist daher der Anteil jener, die überhaupt in Lager auf Reichsgebiet kamen. Hier war das Lager in Zeithain – STALAG IV-H – eines der größten.

Den regionalen Hintergrund der Gedenkveranstaltung bildet die düstere Geschichte des Kriegsgefangenenlagers in Zeithain, wo zwischen 1941 und 1945 25.000 bis 30.000 sowjetische und mehr als 900 Kriegsgefangene aus anderen Ländern (darunter mindestens 862 Italiener) – man kann es nicht anders formulieren – krepierten. Gründe waren vor allem mangelhafte Ernährung und katastrophale hygienische Bedingungen.

Die Geschichte des Lagers finden Sie auf den Seiten der Stiftung Sächsische Gedenkstätten dokumentiert.

Vom STALAG zum GULAG

Doch blieb die Befreiung des Jahres 1945 für Viele unvollendet. Dies galt für die Bevölkerung Mitteldeutschlands und mehr noch für die von den eigenen Truppen befreiten Sowjet-Gefangenen, denn letztere betrachtete Stalin mit besonderem Argwohn: sei es als Feiglinge, die nicht bis zum Letzten gekämpft hatten, sei es als unzuverlässige Elemente. So tauschten die meisten dieser Gefangenen den Gewahrsam im deutschen STALAG mit jenem im sowjetischen GULAG, nachdem sie die Filtrationslager des NKWD durchlaufen hatten: ein bitteres Schicksal.

Von den 800.000 Mann, die bis Juli 1945 repatriiert wurden, gerieten rund 600.000 in die Lager des NKWD oder wurden nach Sibirien verschleppt. Insbesondere Offiziere, die in deutsche Gefangenschaft geraten waren, konnten keine Gnade erwarten (vgl. BABEROWSKI, S. 462 f.).

Schicksale Kriegsgefangener ab 1994 im Fokus

Mit dem Ende des „Kalten Krieges“ und dem Untergang der Sowjetunion 1992 eröffnete sich ab 1994 mit dem deutsch-russischen Kriegsgräberabkommen die Möglichkeit, die Schicksale der Kriegsgefangenen beider Seiten zu klären. Die Dokumentationsstelle der Stiftung Sächsische Gedenkstätten und der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge leisteten hier eine unschätzbare Arbeit, deren Ergebnis sich in den einschlägigen Datenbanken nachvollziehen lässt.

Mit der Neugestaltung der Kriegsgräberstätte in Zeithain zum 70. Jahrestag des Kriegsendes 2015 nahm auch die Öffentlichkeit davon Notiz: Die Namensstelen auf den Friedhöfen geben – chronologisch sortiert – Auskunft über das Massensterben in den Jahren ab 1941 bis zur Befreiung des Lagers am 23. April 1945.

Im Rahmen des derzeit laufenden deutsch-russischen Regierungsprojekts "Sowjetische und deutsche Kriegsgefangene und Internierte", das der Volksbund im Auftrag des Auswärtigen Amts als Träger koordiniert, werden diese wichtigen humanitären Aufgaben weiter verfolgt.

Arbeitseinsätze in Zeithain mit Reservisten, Soldaten, Schülergruppen

In der Schul-, Jugend- und Bildungsarbeit des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Landesverband Sachsen, nehmen die Arbeitseinsätze von Reservisten, Soldaten und Schülern, die jährlich in Zeithain stattfinden, einen besonderen Stellenwert in der Vermittlung dieses dunklen Aspekts der Geschichte des Zweiten Weltkrieges ein. Das Lager in Zeithain und die umgebenden Friedhöfe sind Orte, an denen die „Versöhnung über den Gräbern“ zu einer besonderen Herausforderung wird.

Das Gedenken zum Jahrestag zeugt vom besonderen Stellenwert dieses Gedenkorts, der auch in Zukunft dem Anspruch gerecht werden soll, das Kriegsgrab im Dreiklang von Trauern – Erinnern – Gedenken als zeitgemäßen Lernort zu präsentieren.

Kriegsgräberfürsorge und die Erinnerung an die Folgen von Gewaltherrschaft und Totalitarsmus  sind damit – auch 80 Jahre nach Kriegsende – noch immer ein wesentlicher Beitrag für den Frieden in Europa.

Dr. Dirk Reitz

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